Moskau statt Genf, 04.02.2016
Außenminister Frank-Walter Steinmeier erklärte in Saudi-Arabien, die Genfer Gespräche seien belastet worden durch die Militäroffensive der syrischen Armee bei Aleppo .
Natürlich hat er Recht damit. Die syrische Armee kämpft gegen Islamisten und erfüllt damit den Auftrag aus der Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrates, in der es heiß dass: " jeglicher Waffenstillstand nicht gilt für Aktionen gegen diese Gruppen und Individuen(IS, al-Nusra sowie die Verbündeten von IS und al-Nusra)." Die Verbündeten von IS und al-Nusra - Jaysh_al-Islam und Ahrar al-Sham - kamen nicht nach Genf um zu verhandeln; sie suchten nur die Unterstützung ihrer Auftraggeber und Hilfe gegen diese Militäroffensive. Ganz im Sinne der UN-Resolution werden Syrien und Russland die Offensive fortsetzen.
Und so müssen weder Syrien noch Russland erklären, warum sie ihre Offensive um Aleppo führen. Vielmehr müssen Steinmeier und sein US-Kollege Kerry (und all die anderen internationalen Akteure) erklären, wieso sie Vertreter von Jaysh_al-Islam und Ahrar al-Sham zu den Gesprächen in Genf eingeladen haben, in denen es ja vorgeblich um die Zukunft Syriens geht. Und wieso sie diese Gruppen mit Ressourcen ohne Ende unterstützen.
Statt "innersyrischen" Gesprächen und Verhandlungen haben erneut Saudi-Arabien und die Türkei – unterstützt von den USA – die Teilnehmerliste bestimmt. Auf Druck der Türkei gab es keine eigenständige kurdische Delegation bei den Verhandlungen und auf Druck der USA und der Regierung Saudi-Arabiens durften ihre Kämpfer von der Jaysh_al-Islam und Ahrar al-Sham am Verhandlungstisch sitzen. Zahran Alloush, der bis zu seinem Tod im Dezember 2015 die Jaysh_al-Islam anführte, profilierte sich als religiöser Eiferer und Sektierer, als Anhänger von Osama bin Laden und erklärte, die Mujaheddin von Syrien würden das Land von allen Ketzern reinigen. Jaysh_al-Islam kämpft gemeinsam mit der Nusra-Front. Selbst US-Geheimdienste geben zu, dass führende Mitglieder von Ahrar al-Sham unter dem Einfluss von al-Quaeda stehen. Der ehemalige Anführer von Ahrar al-Sham erklärte, ob IS oder al-Nusra, die Islamische Front oder die FSA – alle hätten dasselbe Ziel: einen islamischen Staat. Und die Allianz Dschaisch al-Fatah, zu der u.a. Ahrar al-Sham gehört, umfasst u.a. Teile der Al-Nusra-Front.
Es ist noch nicht einmal ein Euphemismus, die Vertreter der bewaffneten Islamisten als "gemäßigte" Opposition darzustellen – es ist schlicht und schlecht gelogen. Tatsächlich zeigt die Zusammensetzung der Riad-Opposition, die nach Genf eingeladen war, den Einfluss Saudi-Arabiens und der Türkei auf die "syrisch-syrischen" Gespräche und damit erneut, dass in Syrien nicht etwa ein Bürgerkrieg herrscht, sondern ein Krieg um regionale Vorherrschaft.
Von Anfang an hatten die geplanten Verhandlungen in Genf einen Pferdefuß: Es sollte die Frage eines Waffenstillstandes gemeinsam mit der politischen Zukunft des Landes verhandelt werden; als ginge es in dem Krieg darum, die Interessen der Syrer gegen "das Regime" durchzusetzen. Dieses Paket war und ist ein bewusst eingesetztes Mittel, um die realen Interessen dieses Krieges unter dem Schleier von Freiheit und Demokratie zu verbergen.
Der Krieg gegen Syrien wird um die Interessen Saudi-Arabiens, der Türkei und der NATO geführt. Waffenstillstandsverhandlungen haben nur einen Sinn zwischen den Akteuren, die diesen Krieg führen und der syrischen Regierung und ihren Unterstützern.
Die Interessen der Syrer und die Zukunft Syriens aber können nur in direkten Gesprächen und Verhandlungen zwischen der Regierung und der politischen Opposition geklärt werden und in lokalen Verhandlungen und Waffenstillständen, wo immer das möglich ist.
Bei allen Schwierigkeiten hatten die Verhandlungen "Moskau 2" den großen Vorteil, dass Vertreter politischer Opposition und Vertreter der Regierung begannen zu verhandeln. Gespräche und Verhandlungen über die Zukunft Syriens haben nur dann einen Sinn, wenn Vertreter aller Gruppen der syrischen politischen Opposition eingeladen werden.
Der Krieg aber kann nur beendet werden, wenn NATO und Golfstaaten ihre Unterstützung für die Dschihadisten aufgeben.
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