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Die Linke und Syrien – immer noch ein schwieriges Kapitel, 24.05.2013

Konferenz in Istanbul und Antakya Mond über dem Marmarameer
Wie es Revolutionären gelegentlich ergeht, wurde Leo Trotzki von dem neu entstandenen Machtapparat aus der Sowjetunion vertrieben. Seine erste Station im Exil war die Insel Prinkipo im Marmarameer, unweit von Istanbul. Im Rahmen des Kongresses "die Völker der Welt wollen Frieden", den der Weltfriedensrat vom 24.-29.April in Istanbul und Antakia durchführte, hatten wir die Gelegenheit, auf Einladung ihres Bürgermeisters die Insel Prinkipo zu besuchen.

Nach einem Tag politischer Informationen und im Chaos von Istanbul war es ein ruhiger, lauer Abend. Ein voller Mond spiegelte sich im Marmarameer, die Lichter von Istanbul blinkten am Horizont und schufen eine bezaubernde Atmosphäre - und statt den Abend einfach nur zu geniessen, gab es eine intensive und kontroverse Diskussion über die Frage: Was bedeutet es, Syrien, den Iran und andere Länder gegen die Angriffe durch den Imperialismus zu verteidigen.

Dass der Imperialismus diese Länder angreift, daran gibt es keinen Zweifel. Der Iran besitzt keine Atomwaffen sondern wird mit Atomwaffen bedroht. In Syrien herrscht nicht Bürgerkrieg; Syrien soll in einem offenen Krieg zerstört werden, wenn auch nicht "offiziell" mit Soldaten in Uniformen der angreifenden Länder.

Aber wie verteidigen wir diese Länder? Verteidigen wir die herrschende Schicht, die Korruption, den Sicherheitsapparat? Können wir irgendwie die Gesellschaft dieser Länder verteidigen und dabei unterscheiden zwischen Bevölkerung und Sicherheitssapparat? Ist uns dieser Unterschied gleichgültig, weil wir wissen, dass nach dem Angriff des Imperialismus und bei seinem Sieg in diesen Ländern eine Barbarei herrscht, die schlimmer ist, als das, was vorher war? Sollen wir einfach auf "Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten" plädieren - oder Stellung beziehen, Opposition unterstützen; und was hat das für Konsequenzen?

Wir haben diese Fragen nicht nur im Zauber von Prinkipo diskutiert; sie wurde auch in den Hallen der Gewerkschaft Petrol-Is während des Kongress mehr oder weniger expliziert behandelt.

1. Mai

Gleich nach der Rückkehr aus Istanbul traf ich auf einer Veranstaltung zum 1.Mai einen alten Genossen. Und auch hier wieder – nach dem ersten Kopfschütteln über meine Unterstützung für Syrien und den syrischen Staat (wenn man so will, "Für Assad") – gab es eine intensive und kontroverse Diskussion. Und vollkommenes Unverständnis dafür, dass ich nicht einfach die Opposition unterstütze und für die "Revolution" eintrete, gegen den Diktator Assad und die 40 jährige Herrschaft einer Familie über das Land.

Bagdad

Diese Diskussionen gab es vor dem Angriff der USA auf den Irak im Jahr 2003 kaum. Was immer Saddam Hussein und sein Sicherheitsapparat getan hatten: Millionen Menschen in der ganzen Welt, von Berlin bis Ankara, von der Antarktis bis zur ISS, in London und Washington, in Kleinstädten und Metropolen demonstrierten gegen diesen Krieg. "Niemand" wünschte sich "Bomben für Frieden und Demokratie". Nur die Propagandisten der US-Amerikanischen Neokonservativen träumte damals von blühenden Landschaften, einem demokratischen Irak und den Blumen für die Befreier.

Fool me once...

2003 war es einfach: Es wurde vom drohenden Atompilz gesprochen (Condoleza Rice), von den Irakischen Raketen, die in 15 Minuten und somit ohne Vorwarnung Europa angreifen könnten (Tony Blair), von den Massenvernichtungswaffen, von denen man genau wüsste, wo sie sich befinden (Powell, Rumsfeld, Bush, Cheney und all die anderen). Wer Augen hatte zu sehen und die Zeit zu lesen wusste damals schon, dass all das Lügen waren und heute weiß es jeder. Es ging damals nicht um Massenvernichtungswaffen, sondern um Öl und Macht.

Heute scheint alles viel komplizierter. Die Regierungen der USA, der Golfstaaten und Europas reden nicht viel von Massenvernichtungswaffen, sondern vor allem von den Millionen Menschen, die gegen den furchtbaren DIKTATOR Assad kämpfen, der sein ganzes Volk ABSCHLACHTET und das Land in SCHUTT und ASCHE legt.

Als im Frühjahr 2011 die NATO Libyen angriff war ich selbst unsicher – wie an meinem Beitrag vom März 2011 deutlich wird. Müsste man nicht all die Demonstranten in ihrem Kampf (im wahrsten Sinne des Wortes) unterstützen? Waren nicht die Aktivisten in Libyen die gleichen wie zuvor auf dem Tahrir-Platz in Kairo?

Tatsächlich war der Angriff auf Libyen genau der Punkt, an dem der arabische Frühling von den reaktionärsten arabischen Staaten gekapert wurde. Der Versuch, eine Zivilgesellschaft in den arabischen Ländern aufzubauen, war gescheitert. Reaktionäre Kräfte wurden gestärkt, der (sunnitische) politische Islam wurde gefördert – von den Monarchien der Golfstaaten und den USA. Leider – und hierzulande offenbar weitgehend unbemerkt – war dies das Ende des arabischen Frühlings. Und der Schock des arabischen Frühlings wirkt nach wie vor. Ganz anders als 2003 vor dem Angriff auf den Irak träumen heute viele immer noch von den blühenden Landschaften, von Demokratie, Zivilgesellschaft, Reichtum: wenn nur endlich der böse Diktator entfernt ist.

Wer sich aber zum zweiten Mal zum Narren halten lässt – ist selber schuld.

Hände weg von Syrien

Die Regierung der USA, die Monarchen der Golfstaaten – sie träumen nicht. Ihnen geht es nicht um Demokratie und Menschenrechte, sondern um ihre Stellung in der Region, Reichtum, Macht.

Sie liefern keine Bomben für Demokratie und Menschenrechte, sondern für den Kampf gegen Iran und Hezbollah. Es gibt keine "nicht tödlichen" Waffen, die die USA angeblich an die Aufständischen in Syrien schicken, sondern "smarte" Waffen, Kommunikationsmittel, Nachtsichtgeräte, Informationen, die die Wirksamkeit der einfachen Waffen massiv erhöhen. Und es gibt auch keine säkulare, demokratische "Freie Syrische Armee". Und weiter und mehr Unterstützung für die Aufständischen - trotz der "Gesprächsbereitschaft"(?) der USA

Und so, wie wir vor 10 Jahren gegen den drohenden Irakkrieg demonstriert hatten, gibt es doch "eigentlich" keinen Grund, dass sich nicht alle und jeder heute hinter den Parolen versammeln:

Der Stein des Anstoßes ist natürlich die letzte Parole, und hier läuft die Diskussion von Prinkipo und vom 1. Mai wieder zusammen: Wie sollen die Syrer selbst ihre Zukunft bestimmen, wenn doch der 'Diktator' im Wege steht.

Weiter als der Mond

Es gibt viele (wahrscheinlich die Mehrheit), für die Syrien weiter entfernt scheint, als der Mond. Sie haben festgestellt, dass Kriege im Nahen Ostens uns doch nicht so sehr behelligen wie einmal befürchtet und deshalb engagieren sie sich nicht besonders. Davon abgesehen finde ich zwei Standpunkte (ich weiß, es gibt auch andere). Eine Gruppe, die nur den Diktator sieht, der gestürzt werden muss und die vielleicht klammheimlich (und viele ganz offen) der NATO und den Golfstaaten für ihre Aktionen danken.

Die andere Gruppe sieht nur den Imperialismus und spricht von Nichteinmischung in die innneren Angelegenheiten. Und das stimmt ja auch: da der Angriff auf Irak und der Krieg gegen Syrien aus den gleichen Gründen des Strebens nach Macht und Reichtum erfolgten, und nicht etwa wegen Demokratie oder Massenvernichtungswaffen, brauchen wir heute nicht mehr als damals zu fragen: wie sieht das System in Syrien eigentlich aus.

Oder vielleicht doch?

Widersprüche

Im März 2011 traten die Widersprüche der syrischen Gesellschaft voll zu tage. Ich mache mir über die Protagonisten der Auseinandersetzungen keine Illusionen – es waren überwiegend religiös motivierte junge Leute, viele ohne Perspektiven oder der vielfältigen syrischen Gesellschaft durch Gelderwerb in den extrem religiösen Golfstaaten entfremdet. Eine "Zivilgesellschaftliche Opposition" hat in Syrien eine sehr viel geringere Rolle gespielt als z.B. in Ägypten. Viele, die in Ägypten auf dem Tahrir-Platz demonstriert hätten, wollten in Syrien Veränderungen, Reformen - aber nicht einen Umsturz in Tumult, Chaos und Gewalt.

Es gibt in Syrien heute Regierung und unzählige Oppositionelle, es gibt Gruppen und Parteien, es gibt syrische Bewaffnete und es gibt die Dschihadisten aus aller Welt. Die Gesellschaft war durch die Vorgänge im Frühjahr 2011 in ihren Grundfesten erschüttert – und ist es bis heute. Allein dieser Fakt straft all die Träumer Lügen, die so tun, als sei Syrien "und das Regime" heute dasselbe wie vor zwei oder drei Jahren.

Syrien war und ist in seinen Grundfesten erschüttert. Den Sturz Assads zu fordern und das Beste zu hoffen, zu glauben, dass dann alles besser wird - das ist keine Politik. Glaube und Hoffnung gehören in die Kirche.

Die Gesellschaft in Syrien ist in einem labilen Zustand und die entscheidende Frage ist: Wie kann das Land in Sicherheit und Stabilität aus der Krise herausfinden – eine Frage, die im Zentrum der Diskussionen in Syrien steht.

Wer Herz und Verstand hat wird sich mit dieser Frage beschäftigen. Wie steht es mit Transparenz und Repression, Seilschaften und Korruption, Reichtum und Armut, Macht und Ohnmacht. Welche Kräfte verfolgen welche Politik

Und wer Nichteinmischung durch das Ausland fordert (was absolut richtig ist) und sich selbst auch nicht einmischen will - im Sinne einer kritischen Diskussion - vergibt eine große Chance. Manchmal habe ich den Eindruck, hinter dieser Haltung steckt eine Furcht, die Furcht, wenn man die politische Situation Syriens (oder Irans, oder anderer Länder) kritisch betrachtet, würde man irgendwie dem Imperialismus doch Recht geben.

Das Gegenteil ist richtig: Syrien – oder Iran – kann man nur gegen die Angriffe des Westens, Israels und der Golfstaaten verteidigen, wenn man es kennt und kritisiert. Wenn man das was gut ist und was bleiben sollte von dem scheidet, was geändert werden muss. Wenn man Perspektiven findet. Und in Syrien gibt es durchaus Gruppen, die Perspektiven formulieren und in einem Dialog mit der Regierung diskutieren.

Naher Osten

Oft betreiben wir hierzulande Diskussionen über 'Nichteinmischung in die Inneren Angelegenheiten' und den Imperialismus, eher erbittert. In der Region, wo die Menschen die Angriffe hautnah spüren und ihre Regierungen sehr genau kennen, scheint das offenbar viel entspannter. Hier spricht man davon, dass das System der religiösen Herrscher in Iran gestürzt werden muss – um Iran gegen die Angriffe des Westens zu verteidigen. Und dass das System in Syrien – das System der Einparteienherrschaft - schon gestürzt ist: und dass das gut so ist, wie ein Vertreter eines Jordanischen Friedenskomitees es ausdrückte.

Der syrische Journalist Adel Omar – ich kenne ihn vom o.g. Kongress in Istanbul - sprach in Antakya während eines Solidaritätskozerts und sagte u.a:

"Dieser Krieg ist kein Bürgerkrieg. Es ist kein Krieg den Syrer untereinander ausfechten. Nein! Unter trügerischen, fadenscheinigen Parolen wie 'Förderung von Menschenrechten' und der angeblichen Befreiung des syrischen Volkes von ihrem 'Diktator' wird eine Aggression gegen unser Volk betrieben und ein schwarzer Propagandafeldzug gegen unseren Präsidenten geführt... Musste man der Regierung in der Vergangenheit auch politische Fehler ankreiden, muss man auch immer noch fordern, dass die Korruption bekämpft wird und dass unbelastete Minister in die Regierung aufgenommen werden, so war und ist doch Präsident Bashar al-Assad nie ein Diktator oder Mörder..." Adel wurde jubelnd von den Tausenden Konzertbesuchern begrüßt und jubelnder Beifall begleitete seine Rede
http://pwlasowa.blogspot.de/2013_04_29_archive.html

Wir verteidigen in Syrien gerade den Prozess der Veränderung gegen die Angriffe von außen. Veränderungen, die zu mehr Pluralismus und Verantwortlichkeit und Transparenz führen, auch wenn erst wenige Schritte auf einem weiten Weg zurückgelegt sind. Die Zerstörung jedes demokratischen Bestrebens durch die Aufständischen mit ihren NATO-Waffen oder durch die Bomben der NATO selbst und die Aktionen der Golfstaaten wären kein "Kollateralschaden", sondern eines der Kriegsziele.



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