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Aufstand, 17.09.2020

Lange galten die syrischen Gebiete östlich des Euphrat unter überwiegend kurdischer Selbstverwaltung als Leuchtfeuer in den Untiefen des syrischen Krieges. Die Selbstverwaltung galt als fortschrittliches Projekt: multiethnisch, säkular, mit Gleichberechtigung der Frauen, Religionsfreiheit und dem Aufbau eines Bildungs- und Gesundheitswesens…

Vor einem Jahr hat Trump "die Selbstverwaltung verraten", als er seine Truppen abziehen wollte. Heute ist die Bindung der dominierenden Syrian Democratic Forces (SDF) an das US-Militär dennoch stärker als zuvor.

Mit dem Verkauf des syrischen Öls an ein umstrittenes US-Unternehmen, der Zusammenarbeit mit dem US-Militär und den zunehmenden arabischen Protesten verdunkelt sich das Leuchtfeuer. Dazu kommt der Schulkampf in Hasaka.

In diesem Beitrag werfen wir einen kritischen Blick auf die Situation in den Gebieten der Selbstverwaltung.

Nick Brauns berichtete in der jungen Welt von aktuellen Entwicklungen:

In mehreren Städten der ostsyrischen Region Der Essor ist es zu einer Revolte gegen die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDK) gekommen. In den östlich des Euphrat gelegenen Orten Schuhail, Danan und Al-Hadscheb protestierten Angehörige arabischer Stämme mit syrischen Fahnen und Bildern von Präsident Baschar Al-Assad gegen die Präsenz der kurdisch geführten, in der Region aber mehrheitlich aus arabischen Soldaten bestehenden SDK. Der Protest richtete sich ebenfalls gegen die US-Armee, die in dieser Region nach Angaben von US-Präsident Donald Trump präsent sei, um die "Ölfelder zu schützen".

Rojava

Für die Linke in Deutschland war der Kampf gegen den IS, um das ursprüngliche Rojava, die drei kleinen ländlichen Gebiete an der Grenze zur Türkei, ein Leuchtfeuer in den Untiefen des Krieges um Syrien.

Aber was meinen wir heute, wenn wir von Rojava sprechen? Es sind nicht mehr die drei kurdischen Kantone. Die kurdisch dominierten SDF haben gemeinsam mit der US-Armee die Kontrolle über die Gebiete östlich des Euphrat erlangt, ein Drittel des Landes. Von den vielen Kurden, die in den syrischen Städten, in Aleppo und Damaskus leben, wird das übrigens durchaus unterschiedlich bewertet.

"Selbstverwaltung" wird es genannt, doch es ist eine merkwürdige Selbstverwaltung, die vom ersten Tag ohne die US-Armee keinen Bestand gehabt hätte. Heute ist ein Teil des Gebiets der Selbstverwaltung von der türkischen Armee und ihren Dschihadisten besetzt. Saudi-Arabien ist mit Soldaten präsent. Die USA unterhalten ihre Stützpunkte und weiten sie sogar aus. Ihre Kontrolle über dieses Gebiet führt bis hin zu Angriffen auf die syrische Armee. Auch die syrische Armee ist hier stationiert, von den SDF gegen die Türkei zu Hilfe gerufen. Die russische Armee ist aktiv. Und darüber hinaus stehen weite Teile des Gebietes unter Kontrolle von Stammesorganisationen. Sie vertreten ihre eigenen Interessen, von Zusammenarbeit mit der Selbstverwaltung keine Spur, stattdessen zunehmend Konflikte, wie z.B. der Bericht der jungen Welt zeigt.

Amerikanische Werte

Ohne die US-Armee gäbe es diese Selbstverwaltung nicht. Wie tief die Bindung zwischen dem US-Imperialismus und der kurdischen Selbstverwaltung ist, wurde eigentümlicherweise ausgerechnet mit dem scheinbaren Abzug der US-Truppen im Oktober 2019 deutlich.

Trump wollte die US-Truppen aus Syrien abziehen, die Türkei weitere Teile des Landes besetzen und die Kurden kamen unter die Räder und in einem unbedachten Augenblick baten die SDF die syrische Regierung um Hilfe. Alle Welt klagte Trump des Verrats an.

Dennoch ist der US-Imperialismus weiterhin Partner der Wahl der SDF, wie das Pentagon in einem Quartalsbericht kürzlich schrieb. Selbst der vorrübergehende Verrat durch den US-Präsidenten änderte nichts am tiefen Glauben der Selbstverwaltung an "Amerikanische Werte".

Ilham Ahmed, Co-Präsidentin der Selbstverwaltung und gern gesehener Gast in Moskau, im Elysee-Palast und im US-Senat schrieb in der Washington Post über den Verrat:

Despite the betrayal we have endured, we still believe in American values and our true friends in U.S. uniform — those who stood shoulder to shoulder with our fighters and who changed widespread impressions here about the United States.

Freunde in Uniform, "Amerikanische Werte"? Für mich sind "Amerikanische Werte" eher Macht, Profit, Öl als Selbstverwaltung und Sozialismus. Aber hey, irgendwie passt das dann doch zusammen. Die Selbstverwaltung verkauft syrisches Öl an ein amerikanisches – nein: an ein US-Unternehmen

Mal ehrlich: Musste es ausgerechnet Delta Crescent Energy LLC sein? Diese Firma wurde in der US-Steueroase Delaware gegründet. Der ganze Bundesstaat Delaware hat knapp eine Million Einwohner, und etwas mehr als eine Million hier gemeldete Unternehmen.

Einer der Gründer von Delta Crescent Energy war James P. Cain, ehemals US-Botschafter in Dänemark und bekannt dafür, dass er die Hinrichtung von Chelsea Manning forderte, weil sie Informationen an WikiLeaks weitergegeben habe. Ein anderer war der frühere Delta-Force-Kommandeur James Reese. Seine Sicherheitsfirma TigerSwan ist mit militärischen und geheimdienstlichen Methoden gegen Umwelt-Proteste vorgegangen.

The Intercept berichtet:

A shadowy international mercenary and security firm known as TigerSwan targeted the movement opposed to the Dakota Access Pipeline with military-style counterterrorism measures, collaborating closely with police in at least five states, according to internal documents obtained by The Intercept.

On numerous occasions, TigerSwan agents stressed the need to change the public narrative established by protestors and to swing public support in favor of the pipeline.

'Change the Narrative' – hier schließt sich der Kreis. Es geht darum, ein Bild zu schaffen. So wird aus dem Ausverkauf des syrischen Öls an die USA, um Syrien noch mehr unter Druck zu setzen – der Schutz der Umwelt. Aus der Kontrolle über ein weites Gebiet Syriens im Windschatten des US-Imperialismus wird eine Selbstverwaltung oder gar eine Revolution. Aus den Konflikten zwischen der kurdischen Kontrolle und arabischen – durchaus auch konservativen - Interessen werden geheime Zellen des IS oder Agenten der syrischen Regierung.

"Change the narrative" – das ist den Angreifern im Krieg gegen Syrien gelungen. Eine kritische Diskussion über Syrien und die Darstellung in den Medien fand in der Linken kaum je statt. Man ignorierte den Krieg, den USA, Türkei, Golfstaaten die Dschihadisten aus allen Ländern der Welt gegen Syrien führen ließen. Den medialen Informationsbomben, dem Narrativ vom Diktator, der sein Volk abschlachtet gegenüber hilflos flüchtete die Linke in das Narrativ von Rojava, dem Leuchtfeuer der Emanzipation. In die Vision eben.

Ein zweiter Teil folgt in Kürze



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