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Arte und der Krieg, 21.11.2015

Der Sender Arte ist bekannt für hochwertige Dokumentationen und ein originelles Senderdesign – heißt es auf Wikipedia. Uns ist er bekannt als ein Sender, der auch Propaganda für den Krieg betreibt.

Vor kurzem zeigte Arte einen Film, der ein Ziel hat: Die "internationale Gemeinschaft" soll endlich Krieg gegen Assad führen. "Der Sicherheitsrat weiß um die Verbrechen, doch sie bleiben ungesühnt... " heißt es (Minute 40:45) und "Wie lange noch soll das Blutvergießen des Regimes ungesühnt bleiben?"(49:25) (In der Mediathek bis zum 03.12.2015).

Wer den Film sieht, kann sich der emotionalen Wirkung nicht entziehen. All die Berichte über Gräuel, die technischen Details der Satellitenaufnahmen, die grauenvollen Bilder der Leichen – wer den Film erträgt hat nur noch den einen Wunsch: Entfernt endlich den Mörder Assad von der Macht – egal wie.

Ablauf

Der Film besteht aus drei Teilen. Zunächst erzählen syrische Aktivisten "ausgestiegene" Unterstützer des Regimes von der Folter in den syrischen Gefängnissen. Danach ein ganz furchtbarer Teil, der von den Bildern berichtet, die eine "Quelle aus dem syrischen Staatsapparat", genannt Caesar, in die Freiheit geschmuggelt hat. Zuletzt ein Bericht über eine entführte Aktivistin, die – das wird nicht ganz deutlich – 2013 nicht vom Staat, sondern von Islamisten entführt wurde.

Nach dem zweiten Teil, wenn der Zuschauer schon keine Luft mehr bekommt vor Schrecken und nur noch auf das Ende wartet, der Aufruf: Die internationale Gemeinschaft muss Assad zur Rechenschaft ziehen. Der Dritte Teil schließlich dient allen, die solange durchhalten als Ausklang und zur Vertiefung der Emotionen – Weg mit Assad. Und es wirkt. Die Emotion gewinnt die Oberhand über den Verstand – und das ist beabsichtigt.

Menschenrechtsverletzungen

Man müsste naiv sein, wollte man bestreiten, dass in Syrien Menschenrechtsverletzungen geschehen und vielleicht an der Tagesordnung sind. Armut, fehlende Strukturen und Prozesse, die Vielzahl von Gefangenen – wobei politische Gefangene, Kriegsgefangene und Geiseln zu einer gemeinsamen Menge verschwimmen, die Überfüllung von Gefängnissen – all das ist kein Geheimnis, weder hierzulande noch in Syrien, wo Medien davon berichten. Die Freilassung von Gefangenen war vom ersten Tag an wichtiger Teil von Verhandlungen und ist es bis heute geblieben. Misshandlungen geschehen und so schrieb ich schon vor fast 4 Jahren an dieser Stelle: "Ich hoffe, dass Syrien nicht in Bürgerkrieg oder Krieg versinkt, so dass reale Verantwortliche für reale Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden können."

Die Betonung liegt auf real.

Der Film spricht schon nach 20 Sekunden von den Gegnern der Regierung, deren einzige Waffe "ihre Plakate, ihre Lieder und ihre große Entschlossenheit seien." (00:20) "...Als die Menschen begannen, sich aufzulehnen, bekamen wir sofort denn Befehl, scharf zu schießen."(01:22) Und dann: "…Luftangriffe, Panzer, Raketen, Chemiewaffen. Das Regime ...setzt alle militärischen Mittel ein, um den Widerstand zu brechen und seine Macht zu sichern" (01:27).
Schon hier beschreibt der Film nicht die Realität.

Möglicherweise waren alle Demonstranten entschlossen – aber keineswegs alle waren nur mit Plakaten und ihren Liedern bewaffnet.

Gab es einen Schießbefehl? Die Regierung zumindest sagte damals klipp und klar: "Es darf nur in Selbstverteidigung geschossen werden". Wie das konkret umgesetzt wurde, wann ein Verantwortlicher wähnte, "Selbstverteidigung" sei gegeben – das lässt Fragen offen. Aber die einfache Behauptung "wir erhielten sofort den Befehl, scharf zu schießen" - ist Propaganda. Und schließlich "Angriffe mit Chemiewaffen...". Es ist offensichtlich, dass die Behauptung, das Regime habe Chemiewaffen eingesetzt, nicht haltbar ist. Also schon in den ersten zwei Minuten drei bestenfalls fragwürdige Behauptungen, die nur dazu dienen, den Boden für das was danach kommt zu bereiten. Wer mag, könnte den Film schon hier abschalten.

Es fängt aber erst an.

Tricks

Der Film setzt billige, aber wirkungsvolle Tricks ein. Schon die Überblendung in Minute 03:05, von Nachtszenen im Grauen Syriens hin zum hellen Tag in der Türkei ist sehenswert, wenn auch mit den aktuellen Auseinandersetzungen in der Türkei nicht mehr so wirkungsvoll wie gedacht.

Und dann die erste Zeugenaussage. Eine Dame, Roweida Kanaan, erklärt: "Unsere Worte werden nie beschreiben können, was da wirklich passiert ist" (04:30)

Schläge während des Verhörs, immer wieder. Männer, die an die Wand gehängt wurden. "Bei jedem Verhört haben sie uns gefoltert – vor allem die Männer. Die Frauen weniger." (08:50) Sie bleibt sehr im Vagen, man kann eben das unsagbare Grauen nicht in Worte fassen. Wirklich nicht? Wer das Grauen erträgt, soll auf Wikipedia den Artikel über die Valech-Kommission nachlesen. Und sich der Frage stellen: sprechen wir hier über dasselbe? Oder müssen wir sagen: "Die Luft war stickig und die Kinder hatten keinen Platz zum Spielen…" (18:10)

Die beiläufige und abstrakte Art, in der über Folter berichtet wird soll den Betrachter gerade dazu verführen, das für sich schlimmste Vorstellbare zu imaginieren.

Gefangene

"Es gibt Tausende Gefangene, niemand kennt ihre wirkliche Zahl..." heißt es in dem Film (16:25), und schon 30 Sekunden später: "Es gibt ein Gefängnis, das 500 Gefangene aufnehmen kann; tatsächlich werden dort 15.000 Gefangen gehalten... Das sind die wahren Zahlen. In Syrien sind über 200.000 Personen inhaftiert."(17:00)

Die Überbelegung syrischer Gefängnisse ist eine bekannte Tatsache. Die syrische Presse berichtete davon und nannte als Beispiel das Zentralgefängnis in Homs, das weit über alle Kapazitäten belegt ist.

Eine Organisation die sich mit dem Thema Menschenrechtsverletzungen in Syrien befasst und der syrischen Regierung feindlich gegenübersteht führt eine Datenbank über Menschenrechtsverletzungen und kommt in ihrer Zählung auf 62.000 Festgenommene seit Beginn der Krise. Ob als politische Gefangene oder im Krieg oder aus anderen Gründen wird kaum jemals erwähnt. Und selbst sie verschweigt nicht, dass für ca. 30% der Festgenommenen ein Entlassungsdatum erfasst wurde.

Caesar

Eine Quelle aus dem syrischen Staatsapparat – Caesar – hat zehntausende Bilder von Tausenden Todesopfern ‚des syrischen Regimes‘ ins Ausland geschmuggelt. Bekannt wurde das zum erste Mal Ende 2013 und pünktlich zu den damaligen Verhandlungen in Genf .

In der Zwischenzeit wurde es immer wieder aufs Tapet gebracht, prominent in einer Ausstellung im Rahmen der UN, und mit den Verhandlungen in Wien wurde es von CNN wieder thematisiert. Und von Arte in diesem Film.

Nach der emotionalen Vorbereitung im ersten Teil, mit den Aussagen der Gefangenen, ist der Boden bereitet und wir verfluchen das syrische Regime, das all dieses Leid über Syrien bringt – bis der Vertreter von Human Rights Watch sich meldet.

HRW unterstützt die Feinde der syrischen Regierung und hat das auch bei anderer Gelegenheit deutlich gemacht. Im vorliegenden Film erzählt der Vertreter von HRW lang und breit über die Neuanlage von Massengräbern (nachgewiesen anhand von Satellitenfotos!) und impliziert damit, dies seien Gräber, in denen die toten Gefangenen verschwinden. Doch muss er zugeben, dass in Syrien wohl sehr viele Tote beerdigt werden müssen und die Massengräber vielleicht ganz legitimen Zwecken dienen.

Und dann eine unerwartete Volte. Während er uns eben noch mit dem Ausbau der Massengräber erschreckt hat, in denen die toten Gefangenen verschwinden sollen stellt er jetzt fest: wir wissen gar nicht, wo die Toten sind. "Wo sind all diese Leichen" (35:30) fragt er und erklärt: "Ich würde die Regierung gerne Fragen: was habt ihr mit den Toten gemacht?" (36:35)

Und ich würde ihn gerne Fragen: Haben Sie die Regierung gefragt? Hat sie geantwortet? Und warum erhält die syrische Regierung keine Gelegenheit, auf die Vorwürfe zu antworten? Zwei Minuten in einer UN-Sitzung für die syrische Regierung (42:30) – und der Film blendet selbst das nach Sekunden aus.

Im Film wird großer Wert auf die Feststellung gelegt, dass das Regime alles tue, damit die Identität der Opfer nicht festgestellt werden kann: "Die Leichen werden in die Leichenkammern der Krankenhäuser gebracht...aber nicht sofort. ...so kann niemand mehr nachvollziehen, wer die Toten sind...Damit sie nicht identifiziert werden können." (36:50)

"Später werden sie in Containern zu Massengräbern gefahren ... an unterschiedlichen Orten … damit man sie nicht wiederfindet...Damit sie nicht identifiziert werden können…"(37:28) Und im Klappentext zum Film heißt es: "Die Peiniger foltern ihre Opfer und fotografieren anschließend die Leichen, die zur leichteren Identifikation mit Nummern versehen werden…" Was für ein Unsinn.

In diesem Film geht es nicht um die Verteidigung von Menschenrechten. Die propagandistische Darstellung, die Behauptungen, die weit von der Realität entfernt sind – das alles zeigt, dass der Film ein Beitrag zum Krieg ist, gehüllt in den Mantel der Menschenrechte.

Damit stellt dieser Film nicht eine unabhängige Dokumentation dar, sondern dient der Propaganda einer der Parteien im Krieg. Er hilft, den Krieg zu verlängern und schadet allen Bemühungen, Menschen zu schützen.

Mittlerweile gab es im Menschenrechtskomitee der UN erneut eine Verurteilung Syriens. Länder wie Bahrain..., Qatar, Saudi Arabia, USA, Jemen legten eine Resolution zur Verurteilung der syrischen Regierung vor, die mit großer Mehrheit angenommen wurde. Interessant ist weniger die Liste der Staaten , die die Resolution abgelehnt haben, als die derjenigen Länder, die sich enthalten und nicht dafür gestimmt haben. Algerien, China, Cuba, Iran, Russland u.a. haben die Resolution abgelehnt. Indien, Indonesien, Irak, Südafrika u.a. haben nicht für die Resolution gestimmt: Das ist keineswegs eine Achse des Bösen!



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