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Der gewollte Krieg, 15.03.2015

Vor dem Beginn dessen, was einmal ein Arabischer Frühling zu sein schien, war der ägyptische Präsident Mubarak einer der treuesten Verbündeten der USA. Sie stützten ihn mit viel Geld (mehr als eine Milliarde Dollar pro Jahr) und bildeten seine Sicherheitskräfte und Armee aus. Das Tränengas, mit dem die Demonstrationen gegen Mubarak auseinandergetrieben werden sollten, kam aus den USA.

Wer von den Bildern der Demonstranten auf dem Tahrir-Platz und dem Sturz Mubaraks trotz all seiner Machtmittel nicht hingerissen war – hatte kein Herz. Und wer in der Folge nicht versucht hat, die Einflüsse des Auslands, der Moslembrüder und die Instrumentalisierung dieses "Frühlings" durch die Macht der Petrodollar zu analysieren – hatte keinen Verstand.

Destabilisierung

Vor dem März 2011 war Syrien vordergründig eine Insel der Stabilität in einer Region, die von Unsicherheit und Krieg geprägt war. Unter der Oberfläche gab es Konfliktpotential, das von Fragen der Wasserversorgung bis zum Unterschied zwischen ultrakonservativen ("mittelalterlichen") Dörfern und den modernen Städten reichte; und von der Frage des Selbstbestimmungsrechts der Kurden bis zu den Folgen einer Wirtschaftspolitik, die eine Modernisierung Syriens anstrebte mit Privatisierungen und dem Abbau von Subventionen.

Syrien wollte den arabischen Golfstaaten Konkurrenz machen, als Brücke zwischen den Ländern Europas und denen des Nahen Ostens. Und damit nähern wir uns dem internationalen Aspekt der Konflikte in und um Syrien.

In den letzten Jahren wurde viel darüber spekuliert, wie die Konflikte in Syrien die Region destabilisieren würden. Nie wurde gefragt, wie die Konflikte in der Region Syrien destabilisieren. Syrien nahm Millionen Flüchtlinge auf - Armenier, Palästinenser, Iraker. Syrien war „schon immer“ Sanktionen durch die USA ausgesetzt – mal mehr, mal weniger.

Und immer war Syrien bedroht im zentralen Konflikt der Region: dem Konflikt um die wirtschaftliche, politische und technologische Vormachtstellung zwischen USA/Israel und den Golfstaaten auf der einen Seite und Iran auf der anderen.

Diese Bedrohung war keineswegs abstrakt. 2007 schrieb der amerikanische Journalist Seymour Hersh, über eine mögliche Neuorientierung der US-Außenpolitik. Eine verstärkte Zusammenarbeit mit sunnitischen Extremisten die Al-Quaida nahe stehen sollte dazu dienen, Iran, Hisbollah und Syrien zu schwächen. Heimliche Operationen seien bereits in Iran und Syrien durchgeführt worden.

Nach Dokumenten, die von Wikileaks veröffentlicht wurden, hat die US-Regierung heimlich syrische Oppositionsgruppen finanziert, u.a. eine TV-Station in London. Es heißt, das Außenministerium habe der Gruppe, die Barada-TV betreibt, seit 2006 – d.h. seit der Zeit als Seymour Hersh von der Neuorientierung sprach - mit 6 Millionen Dollar unterstützt um den Sender zu betreiben und Aktivitäten innerhalb Syriens zu finanzieren.

Die Politik, die darauf abzielte, die syrische Regierung zu stürzen, war nicht Ergebnis der Vorgänge von 2011. Und das Erstarken der Salafisten war nicht Ergebnis der blutigen Auseinandersetzungen in Syrien. Diese Politik hatte schon Jahre zuvor begonnen. “Wir haben nichts dagegen, dass die Salafisten Bomben werfen. Es kommt darauf an, auf wen sie sie werfen!” Mit diesen Worten zitiert Hersh saudi-arabische Offizielle.

Erst mit dem „arabischen Frühling“ kam diese Politik zu voller Blüte: Moslembrüder und Salafisten wurden unterstützt und finanziert um das Ziel „Regime Change“ in Syrien zu erreichen.

Explosion

Vor vier Jahren begann die Krise in Syrien, die bis heute anhält und in der unzählige Menschen getötet wurden.

Die Proteste waren nicht nur friedlich. Steine werfende Jugendliche, Straßenblockaden mit brennenden Autoreifen, Angriffe auf Parteibüros und Verwaltungsgebäude – die Bilder in Syrien glichen denen in anderen Ländern, doch für den internationalen Medienmarkt wurden nur Bilder ausgewählt, die friedliche Proteste zeigten.

Es gab in Syrien genügend Gründe für Proteste. Doch die Richtung, die die Entwicklung nehmen sollte wurde von außen vorgegeben - und fast buchstäblich vom ersten Tag an.

Am 15. März gab es die ersten Demonstrationen in Daraa. Nur einige Tage später, am 19. März begannen die Angriffe der Luftwaffe Frankreichs und Großbritanniens gegen Libyen. Denjenigen, die behaupten für eine „zivilgesellschaftliche Lösung“ einzutreten sei die Frage gestellt: Welche Botschaft wurde damit wohl nach Syrien übermittelt?

Die Botschaft kam an. Islamistische Kämpfer aus Libyen kamen nach Syrien und ihre Waffen folgten per Schiff. Andere waren als Folge des Irakkrieges schon vor Ort. Sie nutzten die Schwächung des syrischen Staates.

Der Krieg gegen Syrien

Es wurde noch eine weitere Botschaft nach Syrien übermittelt. Von Anfang an und bis zu dem Moment als der „Islamische Staat“ als mächtiger Konkurrent öffentlich wahrgenommen wurde, gab es eine bedingungslose Unterstützung aller Aktivitäten gegen die Regierung. Ob Menschen abgeschlachtet wurden, Selbstmordattentate oder welche Grausamkeit auch immer verübt wurden, wenn Vertreter der syrischen Intelligenz ermordet wurden: Es waren Taten der Freiheitskämpfer gegen den Diktator. Die Regierung wurde zum Abschuss freigegeben. Die Sanktionen, der Aufbau des sogenannten Nationalrates und die Hofierung der Salafisten und des politischen Islam und zugleich die versuchte Isolierung der syrischen Regierung – „die einzige Lösung ist der Rücktritt von Assad“ – all das machte gerade den extremsten Kräften deutlich: sie konnten ungestraft tun was sie wollten - und wurden dabei noch unterstützt.

Gegebenenfalls wurde ein leichter Tadel Monate oder Jahre nach dem Geschehen ausgesprochen. Schon im Sommer 2011 wurden Christen vertrieben (Nach dem Motto: „Alawiten ins Grab, Christen nach Beirut“); der Spiegel berichtete beiläufig darüber – ein Jahr später.

Wie man einen Krieg aufbaut

Der Mechanismus, mit dem Krieg aufgebaut wurde, war einfach. Ein behauptetes Massaker, an dem immer und fraglos „Assad“ schuld war, war der Ausgangspunkt für eine Medienkampagne – es folgten die weitere Delegitimierung der Regierung und verstärkte Waffenlieferungen- bis zum nächsten Massaker. Geplante Flugverbotszone, „Rote Linie“, Patriot-Raketen, Embargo und Sanktionen sind Schritte auf diesem Weg. Und während die Türkei gezielt bewaffnete Dschihadisten ins Land schleuste, wurde es für Syrer immer schwerer, im Land selbst oder ins Ausland zu reisen.

Ein Beispiel für den Mechanismus, mit dem der Krieg aufgebaut wurde, ist der Kampf um Homs. Menschen wurden in Homs von Islamisten abgeschlachtet – schon im Sommer 2011, Berichte darüber lagen vor. Die Armee wurde eingesetzt um Zivilisten zu schützen - und dies galt als eines der Massaker von Assad mit den üblichen Folgen: weitere Waffenlieferungen. Monate später hieß es im Spiegel über diese Zeit beschönigend, die Revolution habe in Homs ihre Unschuld verloren. Die Waffen waren da schon längst geliefert, das Geld verteilt.

Immer wieder wurde nach dem gleichen Strickmuster verfahren und seltsamerweise wurde dieser Mechanismus nie hinterfragt. Immer wieder die Behauptung, Assad ließe nur auf Zivilisten schießen oder sie bombardieren. Den „Aufständischen“ wurden durchaus militärische Erfolge zugeschrieben. Nie wurde die Frage gestellt, wieso die Aufständischen kämpfen, aber die Regierung nur auf Zivilisten schießt. Es gibt keine Dschihadisten in Syrien hieß es lange und Anschläge würden „vom Regime“ selbst verübt. Die Sicht auf die Ereignisse in Syrien war vollkommen unkritisch – falsch verstanden und noch immer getrübt von den Tränengasschwaden des Tahrir.

Der US-Außenminister Kerry erklärte einmal: „...Wenn wir den Krieg führen wie in anderen Fällen zuvor, wollen sie (die Golfmonarchien, MZ) die Kosten tragen. Das zeigt, wie sehr sie dazu entschlossen sind." Und Vizepräsident Biden sagte: „Sie (die Türkei, Saudi-Arabien, Emirate) überschütten alle, die gegen Assad kämpften mit Hunderten Millionen Dollar und Tausenden Tonnen Waffen; bloß waren diejenigen, die unterstützt wurden, (Terroristen, M.Z.) von al-Nusra und al-Qaida und extremistische Dschihadisten, die aus anderen Teilen der Welt kamen."

Sie haben recht; und doch vergessen beide US-Politiker ihre eigene Politik, mit der sie jahrelang den Krieg gegen Syrien betrieben haben.

Scheitern…

Heute sind weite Teile Syriens verwüstet. Auch das wird wohlwollend zur Kenntnis genommen. Aber die „internationale Gemeinschaft“ ist gescheitert in ihrem Versuch, Syrien zu übernehmen. Längst ist die Einheit der Staaten, die den „Regime Change“ in Syrien wollten, zerstört. Wer mag sich noch an die Berliner Vorstellung des „The Day After Project“ erinnern, in dem schon die Posten und Pfründe der syrischen Regierung „nach Assad“ verteilt wurden. Die Moslembrüder in Tunesien und Ägypten sind gescheitert – und leider auch die Revolte, die zum Sturz von Mubarak geführt hatte, zumindest vorerst.

Teile einer Bewegung zu Beginn der Krise in Syrien mögen ein emanzipatorisches Potential gehabt haben. Doch das endete in dem Maße, wie das Ziel des Regime Change um jeden Preis von außen immer mehr in den Vordergrund gestellt wurde – also im Sommer 2011. Im Sommer 2011 begann der Kampf gegen IS bzw. seine Vorläuferorganisationen in Homs. Und in diesem Sinne ist Homs eine der ersten Städte, die IS erfolgreich Widerstand leisteten.

…und Perspektiven

Jeder, der von Syrien spricht, spricht von der politischen Lösung. „Es gibt keine militärische Lösung, sondern nur eine politische Lösung“. Dieses Mantra hören wir seit 4 Jahren – das Problem ist, dass die politische Opposition nicht zu einer gemeinsamen Politik findet und darüber hinaus kaum Einfluss auf die Kräfte hat, die den Krieg in Syrien führen.

Heute ist für diejenigen, die in Syrien intervenieren, die Situation komplizierter als je zuvor. Saudi Arabien konnte oder wollte die Salafisten und ihre Organisationen nicht unter Kontrolle halten und auch die USA finden nicht die „Gemäßigten Dschihadisten“ die sie suchen; und gemäßigt heißt ja nur, dass sie unter Kontrolle zu halten sind.

Die syrische Regierung verfolgt schon lange eine – kontrollierte – Politik der Versöhnung mit den Kräften, die aufgrund von lokalen Interessen gegen die Regierung gekämpft haben. Ein zentraler Punkt in diesem Prozess der Versöhnung ist die Frage der Verschwundenen, Entführten, Verhafteten. Es ist ein langwieriger, schwieriger Prozess mit Erfolgen und Rückschlägen, der unsere Unterstützung verdient.

Linke in Europa müssen sich an den Gedanken gewöhnen, dass politische Fortschritte in Syrien nur in einem Umfeld mit einem Mindestmaß an Stabilität möglich sind – und das heißt: zusammen mit der Regierung in Damaskus, nicht gegen sie. Klare Unterstützung und auch kritische Unterstützung.



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