Genf 2: Waffen statt Verhandlungen,27.06.2013
"Oha!", dachte mancher vor einem Jahr, als sich Russland und die USA auf einen Friedensplan für Syrien einigten. Die USA wussten vom damals bevorstehenden Angriff auf die syrische Regierung und die syrischen Städte, den Vulkan Damaskus. Und in Erwartung der baldigen Zerstörung des syrischen "Systems" ließen sie sich zur Einigung herbei. Der Angriff hat nicht zum erhofften Erfolg geführt. Ein Jahr später ist jetzt eine Folgekonferenz geplant; und schon verlangen die Vertreter der Syrischen Nationalen Koalition noch mehr Waffen als Preis für ihre Teilnahme an der Konferenz – die ihnen die USA auch liefern.
Kontaktsperre
Als im Frühjahr 2011 der Aufstand in Syrien begonnen hatte, dauerte es nicht lange, bis NATO und Golfstaaten eine totale Kontaktsperre über die syrische Regierung verhängten. Sie wollten Syrien international isolieren, und je länger der Konflikt andauerte, umso mehr wurde diese Isolierung umgesetzt. Sanktionen, Reiseverbote, Ausschluss aus der Arabischen Liga, Konsulate und Botschaften wurden geschlossen, Flugverbindungen wurden abgeschafft, das syrische Sattelitenfernsehen wurde abgeschaltet - um nur einige Stichworte zu nennen.
Diese Kontaktsperre war ein Mittel im Krieg gegen Syrien. Und zugleich brachte sie etwas von der Überheblichkeit und dem Dünkel des Westens zum Ausdruck: Woche für Woche wartete man darauf, dass das Regime endlich fallen würde – und hatte schon begonnen, die lukrativsten Posten zu verteilen.
Tatsächlich gilt diese Kontaktsperre nicht nur im Ausland. Große Teile der Syrischen Opposition halten sich ebenfalls daran.
Als Begründung nannten politische Oppositionelle (2011 und 2012) wahlweise: "die syrische Regierung verhandelt nicht ernsthaft" und "wir verhandeln erst, wenn die Waffen schweigen und die Soldaten wieder in der Kaserne sind".
In vielen Fällen ist das Misstrauen gegenüber der syrischen Regierung verständlich: Vertreter der politischen Opposition waren jahrelang im Gefängnis (z.B. Michel Kilo, Louay Hussein).
Aber Verhandlungen abzulehnen, solange gekämpft wird ist nicht nur sinnlos sondern auch scheinheilig, wenn man gleichzeitig die Bewaffneten und ihren Kampf als integralen Teil der "Revolution" begrüßt, wie es in einer Reihe von Pressekonferenzen des Nationalen Koordinationskomitees in Damaskus der Fall war.
Russland und China bekämpften die Kontaktsperre und hatten lange Zeit die Opposition – Gruppen wie "Den Staat Aufbauen" - zu Verhandlungen gedrängt und ihr Unterstützung zugesagt für Gespräche mit der Regierung.
Folgenlos: Die Kontaktsperre großer Teile der syrischen Opposition blieb bestehen.
The Winner Takes it All
Eine Antwort auf die Frage nach dem 'Warum hält sich die Opposition an die Kontaktsperre' ist einfach zu finden: The Winner Takes it all.
Es war nicht nur der Westen, es waren nicht nur die Könige und Prinzen der Golfstaaten, auch die politische Opposition in Syrien stand vor den Fragen: Wann wird Assad stürzen? Wer wird Assad stürzen? Wird Assad stürzen?
Und die Teile der Opposition, die von einem (schnellen) Sturz Assads ausgingen wollten natürlich nicht mit dem 'Regime' verhandeln, ihm Legitimität verleihen – um dann womöglich mit in den Strudel des Sturzes hinein gezogen zu werden.
Im September 2012, gab es zwei Konferenzen der Opposition in Damaskus, beide gefördert, gefordert, unterstützt und begleitet von Diplomaten und Botschaftern Russlands, Chinas, des Iran und anderer Länder. Auf der einen Seite die Oppositionsgruppen, die - mit welcher Begründung auch immer – den Dialog mit der Regierung ablehnten, weil sie vom baldigen Sturz des Systems immer noch überzeugt waren; und die sich vielleicht verrechnet haben.
Und auf der anderen Seite diejenigen, die (bei aller Kritik, allen Vorbehalten und allen Problemen) bereit waren, Parteien zu bilden, sich an der Diskussion und Abstimmung über die Verfassung, an Wahlen, ja selbst an der Regierungsarbeit zu beteiligen – und die damit mehr politische Klarsicht bewiesen, als die Fachleute und Journalisten, die zwei Jahre lang über den unmittelbar bevorstehenden Sturz des Regimes redeten.
Heute, da die Rolle (ausländischer) Jihadisten und religiöser Extremisten im Konflikt immer deutlicher wird, haben es Oppositionelle eines "Dritten Weges" schwer, die sich der Zusammenarbeit mit der Regierung verweigern, nichts mit religiösen Gruppen und auch nichts mit der Intervention des Auslands zu tun haben wollen. Nur die Regierung und die Armee können den Kampf gegen die Jihadisten führen; das Ausland will von dieser Opposition nichts wissen – wo also kann ihr Platz sein? Zumal der Versuch, die syrische Opposition zu einen seit 2 Jahren darnieder liegt...
Wir werden für den Sturz Assads kämpfen – um jeden Preis
Wir werden für den Sturz Assads kämpfen – um jeden Preis: das erklärte die Nationale Syrische Koalition zu den Ergebnissen des G8-Gipfels zum Thema Syrien. Und das erklärt zugleich, wieso die syrische Regierung heute über sehr großen Rückhalt in der Bevölkerung verfügt: Die Menschen wollen diesen Krieg nicht; sie wollen nicht, dass in ihrem Namen um jeden Preis gekämpft wird, ein Kampf, dessen Preis sie selbst zahlen müssen.
Viele frühere Anhänger der Opposition haben sich von ihr abgewandt, seit ein Film verbreitet wird, der einen Kommandeur zeigt, wie er das Herz eines getöteten Regierungssoldaten isst. Und ein anderer Film über einen 14-jährigen Jungen, der in Aleppo erschossen wurde, weil er angeblich den Namen des Propheten beleidigt habe.
Aus Al-Raqqa heißt es, Aktivisten des oppositionellen Organisationskomitees würden sich zurückziehen, weil sie die Aktivitäten der bewaffneten Gruppen nicht länger unterstützen wollen.
Viele Syrer unterstützen die Regierung, weil sie die Aufständischen für schlimmer halten. Und : "Die Menschen sind krank vom Krieg und hassen die Dschihadisten mehr als Assad, so eine westliche Quelle... Assad wird den Krieg gewinnen vor allem, weil die Menschen mit ihm zusammen gegen die Rebellen vorgehen. "
Es sind nicht einzelne Vorkommnisse, die die Unterstützung für die Bewaffneten schwinden lassen. Das gesamte Konzept des religiösen Fanatismus passt nicht in die syrische Gesellschaft. Und die syrische Regierung erzielt Erfolge in ihrem Versuch, den syrischen Staat neu aufzubauen und "Hearts and Minds" zu gewinnen.
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Vor zwei Jahren schien die Kontaktsperre ein Ausdruck der Stärke zu sein. Der Westen wollte nur die bedingungslose Kapitulation der syrischen Regierung annehmen, und tat so, als sei "...zu verhandeln (nur) das Verlangen eines Regimes, das nicht begreifen will, ... dass ihm der Stab gebrochen ist, dass es zu verschwinden hat, beladen mit dem Fluch, das Land unerträglich gemacht zu haben" (Thomas Mann, Doktor Faustus). Nein, der Stab ist nicht gebrochen über die syrische Regierung und nicht sie macht das Land unerträglich. Die Kontaktsperre ist für ihre Protagonisten zu einem Bumerang geworden, weil sie unmissverständlich deutlich macht, wer diesen Krieg – um jeden Preis – weiter kämpfen will.
Verhandlungen - nur gegen Waffen
Mittlerweile haben sich die politische und die militärische Situation in Syrien gegenüber der Zeit des verheerenden Anschlags auf das syrische Sicherheitskabinett und dem "Vulkan Damaskus" vor einem Jahr verbessert. Für die bewaffneten Aufständischen kein Anlass, Verhandlungen zu suchen.
"Wenn wir keine Waffen und Munition bekommen, um das Kräfteverhältnis zu ändern, so kann ich offen sagen, dass wir nicht nach Genf reisen werden", wird der Chef des Obersten Militärrates der oppositionellen Syrien Freien Armee, General Salim Idris von der New York Times zitiert. "Was könnten wir denn fordern, wenn wir geschwächt nach Genf reisen?"
Man könnte das vielleicht Erpressung nennen. Doch rennt er ja in Wirklichkeit mit dieser Forderung offene Türen ein.
Während die bewaffneten Regierungsgegner schamlos verbreiten, sie würden nicht verhandeln ohne mehr Waffen und eine Wendung des Kriegsglücks zu ihren Gunsten, schreibt der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz im Focus.
"Um der geplanten Konferenz in Genf überhaupt eine Chance zu geben", meint er , "müssten jetzt beide Konfliktparteien davon überzeugt werden, dass Genf ihre einzige und beste Option ist. Und deshalb sollten EU und USA gemeinsam deutlich machen, dass sie etwa zur Errichtung einer Flugverbotszone bereit sind, falls das Assad-Regime in Genf nicht ernsthaft verhandelt."
Die eine Seite erhält Waffen, wenn sie nicht ernsthaft verhandelt, die andere Seite Flugverbot. Na bitte.
Genf II
Der Krieg gegen Syrien ist kein Selbstläufer und kein Spaziergang. Selbst jetzt, da NATO und Golfstaaten im Hintergrund bleiben und ihre Stellvertreter kämpfen lassen, sind die Konsequenzen des Blutvergießens unabsehbar. Wo werden all die Waffen und Kämpfer, die jetzt nach Syrien hinein gepumpt werden, am Ende wieder auftauchen? Wie lange wird es dauern, bis der Krieg auf andere Länder übergreift – und auf welche? Was geschieht, wenn die nun offenen US-Amerikanischen Waffenlieferungen nicht zum gewünschten Erfolg führen?
Und schon bevor Verhandlungen in Genf beginnen, werden sie in Frage gestellt. Das Gefühl, die syrische Armee würde die Oberhand gewinnen, hat im Westen und in der arabischen Welt zu hektischen diplomatischen Aktivitäten geführt, mit dem Ziel, die Gegner von Assad weiter zu bewaffnen. Und der russische Außenminister warnt davor, dass diese Waffenlieferungen der Einberufung der neuen internationalen Syrien-Konferenz im Wege stehen.
Zwar mag der Westen die Hilfstruppen von Jihadisten nicht, die in Syrien kämpfen - doch wenn es die Hilfskräfte richten könnten, wäre es der amerikanischen Regierung die liebste und optimale Lösung. Wenn die Konferenz zustande kommt, ist ein Ziel sicherlich, Zeit zu gewinnen. Die Verhandlungen würden sich vermutlich hinziehen, vielleicht so lange, bis "die richtige" Seite klare militärische Vorteile hat - dies zu erreichen ist Ziel der verstärkten Waffenlieferungen. Oder so lange, bis es den USA gelingt, Russland "in’s Boot zu holen?"
Doch vielleicht hilft die NATO sogar direkt nach und aus dem Militärmanöver in Jordanien, an dem Tausende NATO-Soldaten teilnehmen wird ernst. Oder es wird eine besonders zynische Version einer "machbaren" Flugverbotszone umgesetzt, bei der die NATO-Flugzeuge von jordanischem Luftraum aus operieren - lediglich die Bomben und Raketen würden nach Syrien fliegen.
Welcher Wahnsinn.
Die Regierung der USA liefert noch mehr Waffen als zuvor an die syrischen Rebellen. Und doch erweckt sie nicht den Eindruck, als würde sie mit fliegenden Fahnen direkt in den Konflikt eingreifen wollen. Offenbar kenn jemand in Regierung oder Militär die Bedeutung des Orakels:
"Wenn du diese Grenze überschreitest, wirst du ein großes Reich zerstören"
Kontaktsperre aufheben
Der Beginn einer Konferenz Genf 2 würde das Ende der Kontaktsperre gegen Syrien bedeuten. Und täuschen wir uns nicht: Diese Kontaktsperre besteht auch hierzulande, bei einer Linken, die sich sehr eindimensional verhält, die die offizielle Berichterstattung über Syrien kaum einmal kritisch hinterfragt und der Mär von Freiheit und Abenteuer aufgesessen ist. Bei einer Linken, die Demonstrationen gegen den Krieg gemieden hat, wenn dort syrische Fahnen und Porträts von Assad gezeigt wurden – und auch, wenn sie nicht gezeigt wurden.
Es wird Zeit, dass auch die Linken in Deutschland ihre Kontaktsperre aufheben und sich mit den unterschiedlichen Aspekten der Situation in Syrien kritisch auseinandersetzen. Eine gute Gelegenheit bietet das Frankfurter Solidaritätskomitee für Syrien: Es ruft zu einer Demonstration unter dem Motto " NATO, Golfmonarchien, Israel: Hände weg von Syrien!" am Samstag, dem 31. August 2013, zum diesjährigen Antikriegstag, in Frankfurt am Main auf. Der ausführliche Aufruf befindet sich auf der Website des SKFS
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Medien
In einer kurzen Broschüre (hier als pdf und hier als epub) stellen wir die wichtigsten Entwicklungen und Wendepunkte im Krieg gegen Syrien bis 2014 dar.
Und hier im Überblick als Poster
Ein Video , das die Situation aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Eine Diskussion, die auf jeden Fall ausgeweitet werden sollte.
Video:Hände weg von Syrien: Demonstration in Frankfurt, 01.09.2012
Bilder von unserem letzten Aufenthalt in Syrien - im April 2012. Ein ganz normalen Alltag.
Eine Schweizerin besucht Freunde in Syrien. Sie war dort für 3 Wochen im Oktober 2011 reiste durch das Land und berichtet über ihre Erfahrungen.