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Verhandlungen in Genf? 25.10.2013

Von Monat zu Monat wurden die Verhandlungen um ein Ende des Krieges in Syrien und die Bildung einer Übergangsregierung verschoben ("Genf 2 "). Der aktuell geplante Termin ist Ende November.

Und von Monat zu Monat wurde immer deutlicher: Die syrische Regierung, der syrische Präsident werden nicht gestürzt werden. Assad wird bis zum Ende seiner jetzigen Amtszeit - und möglicherweise länger - Präsident Syriens sein. Es sei denn, es kommt doch noch zu einem unmittelbaren militärischen Angriff des Auslands.

Assad hatte sehr viel mehr Rückhalt in der Bevölkerung als wir glauben sollten. Seine Gegner wurden überhöht und verklärt, seine Unterstützer abgetan. Ein realistisches Bild der Situation in Syrien, der Probleme und Erfolge - wurde nie gezeigt.

All die Politiker, Kommentatoren und Experten, die immer wieder einen "baldigen Sturz Assads" ankündigten, und alle, die die Kontaktsperre gegen die syrische Regierung befolgten, haben sich getäuscht. Der syrische Präsident wurde nicht in Wochen oder Tagen gestürzt und nicht in Monaten und Jahren. Sie beließen es nicht bei den Ankündigungen, sondern taten mit der Unterstützung der bewaffneten Dschihadisten alles, um ihre Ankündigung wahr werden zu lassen. Die Syrer mussten einen hohen Preis zahlen.

Einen noch höheren Preis zu zahlen blieb Syrien vorerst erspart. Die USA und ihre Verbündeten sind bei dem Versuch, einen offenen Krieg gegen Syrien zu führen, im September in ihre Grenzen gewiesen worden.

BAGDAD, DAMASKUS

Noch 2003 konnten die USA den diplomatischen Widerstand Russlands, Chinas und vieler anderer Staaten und eine weltweit organisierte Friedensbewegung, die Millionen Menschen mobilisierte einfach ignorieren und den Krieg gegen Irak beginnen.

In diesem Jahr erhielten die Betreiber des Kriegsszenarios den entscheidenden Schlag mit der Abstimmung im Britischen Parlament. Auch wenn eine Friedensbewegung nicht sichtbar war, mussten die Parlamentarier dem verbreiteten Widerwillen der Bevölkerung gegen noch einen Krieg Rechnung tragen.

Und wo Bush noch leichthin den Widerstand gegen den Irakkrieg abtun und ignorieren konnte, sind die USA mittlerweile an deutliche Grenzen gestoßen. Nicht zuletzt, weil ein weiterer langfristiger Krieg im Nahen Osten gegen den Widerstand (nicht nur)der BRICS-Staaten und insbesondere Chinas nicht zu finanzieren gewesen wäre. Selbst wenn Saudi-Arabien wie angekündigt als Finanzier eingesprungen wäre: die wirtschaftlichen und finanziellen Beziehungen erlauben den USA und der NATO einen Alleingang nicht mehr ohne weiteres.

MOSLEMBRÜDER …

Den Kern derer, die gegen die syrische Regierung kämpfen – ob politisch im Ausland als "Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte" oder als Bewaffnete im Land - sind Islamisten jeglicher Couleur, von der Organisation der Moslembrüder bis zu Gruppen, die sich als Vertreter von Al Qaida verstehen (s.u.). Eine säkulare politische Opposition spielt allenfalls eine Rolle am Rande.

Das ist keine neue Erkenntnis, es ist aber immer wieder wichtig, das zu betonen. Im August 2013 z.B. schrieb die „Stiftung Wissenschaft und Politik - Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit":

…Dabei ist die Bruderschaft die Kraft, die innerhalb der syrischen Oppositionsbündnisse am besten organisiert ist. Nach wie vor sieht sie sich als führende Kraft im postrevolutionären Syrien… Zudem ist der überwiegende Teil der Muslimbrüder gar nicht als Mitglied der Bruderschaft im SNC vertreten, sondern repräsentiert offiziell andere Gruppen.
http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2013A52_bkp.pdf

Die Moslembrüder verstehen sich als führende Kraft - das hat auch damit zu tun, dass die Regierung der USA sie lange als führende Kraft angesehen hat.

Mit dem Beginn des Arabischen Frühlings setzte sich eine Richtung in der amerikanischen Außenpolitik durch, die eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Moslembrüdern suchte. Sie galten als Verbündete gegen den Iran und als scheinbarer Garant von Stabilität im Interesse der Globalisierung. Die Politik der Zusammenarbeit mit den Moslembrüdern wurde schon Jahre zuvor als Möglichkeit formuliert und damals von Seymour Hersh beschrieben.

Diese Politik ist heute vollkommen gescheitert.

Man kann das gar nicht genug betonen: Die Entwicklungen in Ägypten, der Widerstand gegen die Moslembrüder und den gestürzten ägyptischen Präsidenten Mursi machen deutlich: Der Wunschpartner der USA in einer zukünftigen syrischen Regierung, die Moslembrüder, sind nicht mehr als Seniorpartner durchzusetzen.

Bejubelt von einem großen Teil der ägyptischen Gesellschaft hat das ägyptische Militär gerade die Moslembrüder von der Macht vertrieben: Jetzt ist wirklich nicht die Zeit ausgerechnet in dem kulturell und religiös so vielfältigen Syrien ihre Herrschaft zu installieren.

…UND DIE VERHANDLUNGEN IN GENF

Immer wieder erklären wichtige Gruppen der ausländischen Opposition und der Dschihadisten, sie würden auf keinen Fall an Verhandlungen in Genf teilnehmen (so u.a. George Sabra , Präsident des syrischen Nationalrats, Ahmad al-Dscharba, Präsident der Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte

Zwischen den Dschihadisten, die in Syrien kämpfen, gibt es Unterschiede: zum Teil sind es globalisierte Dschihadisten, die offenbar direkt von Al-Kaida kontrolliert werden, zum Teil Extremisten, die aber doch auch syrische Interessen gelten lassen(wie zumindest die ZEITschreibt, zum Teil gemäßigte(?) Dschihadisten. Säkulare Gruppen sucht man vergebens: "Die Vorstellung, dass weltliche Oppositionsgruppen in diesem Konflikt kämpfen, ist unbegründet", wird Charles Lister, der Verfasser eines Berichts über die Kämpfer in Syrien, zitiert.

Eine Vielzahl von bewaffneten Gruppen in Syrien hatten sich von der Nationalen Koalition - die im Ausland als wichtigste oppositionelle Organisation gilt - losgesagt. "Die Nationale Koalition und die Übergangsregierung unter Ahmad Tomeh [auch so ein Oppositioneller, der den Moslembrüdern nahesteht] repräsentiert uns nicht und wir erkennen sie nicht an", hieß es in einer Mitteilung von 13 Gruppierungen (u.a. Freie Syrische Armee, die radikalislamische Al-Nusra-Front und die Tawhid-Brigade - ebenfalls islamistisch und verbunden mit der Moslembruderschaft)

Zum Teil sind diese Mitteilungen einfach der Versuch politischer Gruppen ohne Bedeutung und ohne Vertretung in Syrien (die Zeit erwähnt zur "Nationale Koalition der Syrischen Opposition" lapidar: "In Syrien fehlt ihr der Rückhalt"), die Teilnahme an den Verhandlungen in Genf teurer zu verkaufen und die eigene Verhandlungsposition zu stärken. Und zum Teil ist es der Versuch, im Verein mit Saudi-Arabien Druck auch auf die USA auszuüben. Denn dort gibt es Tendenzen zu einer eher realitätsbasierten Politik zu kommen ("Rice Offers a More Modest Strategy for the Middle East")

Die Islamisten, die nicht nur gegen die Regierung, sondern häufig gegeneinander kämpfen, haben von Verhandlungen nichts zu erwarten. Warum sollten sie einem Waffenstillstand zustimmen, es sei denn, Teile Syriens würden unter ihnen aufgeteilt. Und selbst dann würde nichts darauf hindeuten, dass sie nicht weiter um Macht, Einfluss und dann freilich viel Geld kämpfen würden.

Deshalb wird das zentrale Problem jeglicher Verhandlungen in Genf nicht sein, wie die Syrer ihre politischen Probleme lösen, sondern wie der Zustrom von Geld, Waffen und Kämpfern nach Syrien, ihre Ausbildung und Ausrüstung und ihre Unterstützung durch das Ausland gestoppt werden könnten. Da besteht allerdings wenig Aussicht auf Erfolg.

NUR EINE POLITISCHE LÖSUNG…

Die Vertreter der BRICS-Staaten und die Vertreter der NATO, syrische Regierung und syrische Opposition, alle (fast alle: Saudi-Arabien z.B spricht nicht davon)reden davon, dass es nur eine politische Lösung für Syrien geben könne – und nach wie vor werden völlig verschiedene Dinge darunter verstanden.

Louay Hussein, spricht im Interview mit der "jungen Welt" davon, dass die Verhandlungen in Genf dem Einsatz von Gewalt in Syrien die Legitimität entziehen müssten.

Ganz anders sieht das ein hoher Beamter im US-amerikanischen Außenministerium, der erklärt, das Problem sei nicht die Anwendung von Gewalt, um die syrische Regierung zu Zugeständnissen zu zwingen. Das Problem sei vielmehr, dass die "moderaten" Islamisten, die die US-Regierung unterstützt, von zwei Seiten unter Druck geraten sind, nämlich durch die syrische Regierung und durch Kräfte von al-Qaida.

Diese Aussage ist ganz bezeichnend für das, was sich die USA unter einer politischen Lösung vorstellen.

All diejenigen, die in der Vergangenheit vom unmittelbar bevorstehenden Sturz Assads redeten, sehen erneut das Ende seiner Präsidentschaft kommen – und arbeiten daran. Für die NATO-Staaten ist es eine "politische Lösung", wenn eine Regierung der ausländischen Opposition und gemäßigter Islamisten eingesetzt wird, vielleicht mit Repräsentanten "des Regimes" als Feigenblatt, die "syrische Interessen" darstellen. An der Spitze ein zweiter Mursi, oder vielleicht nach den Erfahrungen in Ägypten doch lieber ein zweiter Karzai? Auf jeden Fall ist der Grundsatz für Verhandlungen in Genf, dass Assad zurücktreten müsse. Syrer – ob Opposition oder Unterstützer der Regierung – haben da nichts zu sagen. Das wird immer wieder von Vertretern der syrischen Opposition beklagt.

Für die BRICS-Staaten geht es vor allem darum, eine Auflösung des syrischen Staates zu verhindern, die Legitimität und internationale Anerkennung der syrischen Regierung zu erhalten, die Dschihadisten in Schach zu halten und darum und darum, dass die syrische Regierung zu irgendeinem Agreement mit der Opposition in Syrien kommt. Wenn man so will geht es u.a. darum, eine Ausweitung des Krieges in der Region und über die Region hinaus zu verhindern.

Nach wie vor sind das Konzepte, die kaum miteinander vereinbar sein werden.

ASSAD ODER DSCHIHADISTEN

Der Britische Außenminister Hague möchte die (ausländische) Opposition in Genf am Verhandlungstisch sehen, denn sonst hätten die Syrer nur die Wahl zwischen Assad und den Extremisten.

Die New York Times schrieb vor mehr als einem Jahr über genau diese ausländische Opposition, sie sei mehr damit beschäftigt, um freie Plätze in internationalen Delegationen zu streiten als zu versuchen, eine Übergangsregierung aufzubauen.

H. Clinton nannte sie eine "Bande abgehobener Exilanten, die das Land schon seit 20 oder 30 Jahren nicht mehr gesehen hätten". Und wieder andere Teile der ausländischen Opposition waren in der Planung des "Tags danach" sogar schon dabei, um Posten in der neuen Verwaltung und Regierung und um die vielen Gelder, die einmal fließen sollen, zu streiten.

Ob mit oder ohne diese ausländische Opposition: wenn überhaupt haben die Syrer nur die Wahl zwischen Assad und Islamisten. Nach den Erfahrungen in Libyen, Ägypten und natürlich Syrien sind die Islamisten keine Option. So einfach ist das.

ZIVILGESELLSCHAFT, REGIERUNG, OPPOSITION

Ganz so einfach ist das natürlich nicht.

Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua berichtete kürzlich, dass es 150 Oppositionelle Gruppen in Syrien gäbe – und sie alle wollten in Genf vertreten sein. Mit unterschiedlichen Vorstellungen und ohne dass sie bisher einen Beitrag geleistet hätten, die Krise zu lösen.

In der Vergangenheit hatte sich der größere Teil der syrischen Opposition auf den "baldigen" Sturz von Assad eingestellt – und hatte sich vollkommen geirrt.

Ein kleinerer Teil der syrischen Opposition hat sich seit dem Sommer 2011 und vor allem nach der Änderung der Verfassung und wichtiger Gesetze (Parteiengesetz, Wahlrecht) darauf eingestellt, im Rahmen der bestehenden Verfassung tätig zu sein. Parteien wurden gegründet und im Rahmen des syrischen Parteiengesetzes zertifiziert.

Wenn überhaupt, haben diese Gruppen hierzulande eine schlechte Presse. Eine wirkliche Opposition, wirkliche Beiträge zur Entwicklung einer Zivilgesellschaft in Syrien würden immer nur die anderen leisten; also diejenigen, die noch nicht einmal mit dem System reden, echte Feinde der Regierung.

In Wirklichkeit gibt es schon lange fließende Übergänge von oppositionellen Gruppen außerhalb des Systems bis hin zu legalen Parteien – und niemand weiß das besser als die syrische Regierung.

So erklärte der syrische Innenminister vor einigen Wochen gegenüber der syrischen Nachrichtenagentur SANA, es gäbe zertifizierte – also legale – Parteien und Organisationen, die mit nicht zertifizierten Gruppen zusammen arbeiten – und mit drohendem Unterton: das sei selbstverständlich nicht zulässig. Das ist genauso Teil der syrischen Realität wie die Tätigkeit von z.B. Ali Haidar, dem Minister für Versöhnung, der versucht, Syrern, die bewaffnet gegen die Regierung gekämpft hatten und die dazu bereit sind, einen Weg zurück in die syrische Gesellschaft zu bieten .

Das syrische System ist nicht einfach ein monolithischer Block – genauso wenig wie die Opposition.

Die Kontaktsperre gegenüber der syrischen Regierung erschien vielen syrischen Oppositionellen einmal als eine gute Idee. Sie ist genauso gescheitert wie alle anderen Versuche, das System zu stürzen – an der fehlenden Unterstützung in der Bevölkerung.

Wenn ein klarer Blick auf die Realität zeigt, dass diese Kontaktsperre sinnlos ist und es zwischen diesen verschiedenen Kräften zu echten Verhandlungen kommt, könnten die Konferenz in Genf Erfolge erzielen. Und falls sich daraus eine Übergangsregierung ergeben würde, wäre ihre erste Aufgabe, den Kampf gegen die Dschihadisten weiter zu führen.

Davor aber käme es darauf an, den Widerstand der NATO zu überwinden. Echte Verhandlungen der syrischen Seiten, bei denen die ausländische Opposition nur am Rande stünde, würden den Zielen der NATO-Staaten zuwiderlaufen.

Nachdem der erste Schock über den abgeblasenen Krieg verflogen ist, stehen häufig schon wieder die Kräfte im Vordergrund, die nur vom Rücktritt von Assad sprechen. Der Druck, den Russland, China, Brasilien, Indien und andere Staaten aufbauen konnten, hat offenbar noch nicht ausgereicht.

Und die große Frage im Hintergrund, der Kampf um die Vorherrschaft in der Region ist nach wie vor offen.
Saudi-Arabien macht sehr deutlich, dass es diesen Kampf Syrien nicht aufgeben will.



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