Gefragt, warum die Regierung bis nach dem Labor Day gewartet hatte, um der amerikanischen Öffentlichkeit den Irak-Krieg zu verkaufen, antwortete der Sicherheitsberater von Präsident Bush, Andrew Card: "Vom Standpunkt des Marketing aus führt man ein neues Produkt nicht im August ein..."
Ein ideales Werkzeug in den Händen von Aktivisten- 16.12.2014
Ein kleines Startup-Unternehmen arbeitete seit Jahren an einem großen Produkt: Regime-Change in Syrien. Das Startup war Barada TV und die Bewegung für Gerechtigkeit und Entwicklung, ein Netzwerk von syrischen Exilpolitikern in London. 2006 fanden sie das nötige Risikokapital für ihre Unternehmung: Seit diesem Jahr hat das US-Außenministerium die Gruppe mit 6 Millionen Dollar unterstützt. Und ab 2011 machte sich das Risikokapital mehr als bezahlt.
2011 wurde Syrien in seinen Grundfesten erschüttert. Ungezählte Demonstrationen, große und kleine, friedliche und nicht so friedliche. Straßen, übersäht mit Steinen, brennende Barrikaden, Jugendliche mit Zwillen. Brennende Parteibüros und Banken. Sicherheitskräfte wurden vertrieben, das Militär musste zu Hilfe kommen. Es gab Schießereien und Tote – auf beiden Seiten.
Von all dem sah man im Ausland – nichts. Stattdessen sah man ein virtuelles Syrien, eine Marke; oder vielmehr zwei Marken: Die "friedlichen Demonstranten" und den "Brutalen Diktator", der sein Volk mordet und den alle hassen. Das Startup arbeitete an seinem Produkt und es war ihm mit Unterstützung der Medien gelungen, die beiden Markenidentitäten festzuschreiben.
"Das Markenvertrauen", die Glaubwürdigkeit dieser beiden Marken war extrem hoch. Dieses Markenvertrauen machte normale Menschen zu ergebenen Botschaftern der Marke. Und dies brachte nur zum Ausdruck, dass eine "Marke ein mächtiges Instrument ist, um eine komplexe Botschaft schnell und emotional zu vermitteln. Das macht sie zu einem idealen Werkzeug in den Händen von Aktivisten….", wie es auf Wikipedia heißt. Und tatsächlich war es den Aktivisten in beispielloser Weise gelungen, diese Marken aufzubauen, so dass die Realität Syriens dahinter vollkommen verborgen blieb.
http://en.wikipedia.org/wiki/Brand
Es mag zu Differenzen kommen zwischen dem, was die Gestalter einer Marke darstellen wollen und dem, wie die Konsumenten die Marke selbst wahrnehmen. "Es kann sein, dass es im Laufe der Zeit Änderungen in der Wahrnehmung der Marke gibt. Die Konsumenten sehen möglicherweise neue Eigenschaften der Marke, die der Besitzer der Marke gar nicht kommunizieren will". Anpassungen sind nötig. Und so mussten die Gestalter der Marke "Friedliche Demonstranten" im Rahmen der "Markenführung" Anpassungen vornehmen. Den "Friedlichen Demonstranten" folgten die "Deserteure, die friedliche Demonstranten schützen". Und gar nicht lange, so wurden daraus die "Freiheitskämpfer", die von einem Marketingstandpunkt aus einen guten Kompromiss boten zwischen der "Freiheit" und der militärischen Gewalt als Mittel zur Erreichung der vorgeblichen Freiheit.
Aber je länger der Konflikt anhielt, umso größer wurde die Diskrepanz zwischen Markenversprechen, Qualitäts- und Preisniveau. Die "Freiheitskämpfer" erwiesen sich als Halsabschneider und verdarben das Markenerlebnis. Der Leistungskern wurde erodiert. Zugleich stiegen die Produktkosten immer weiter in die Höhe: zuletzt waren es 500 Millionen Dollar, die allein von den USA nachgeschossen werden sollten. Aus der Premiummarke "Friedliche Demonstranten gegen den Diktator" wurde die Billigmarke "Sturz von Assad".
Mittlerweile wird eine andere Marke aufgebaut: IS. Der "Islamische Staat" hat mit dem Islam so wenig zu tun, wie die FSA mit der Freiheit. Doch als Marke erwies er sich als noch erfolgreicher als selbst die "Friedlichen Demonstranten" aus der Anfangszeit des Krieges um Syrien.
"Gewalt, Macht und Heilsversprechen" - Diese Dreieinigkeit bestimmt den Markenkern. Und wer möchte sagen, welcher Teil dieser Dreieinigkeit der attraktivste ist?
Für die jungen Leute, die ohne Job, Aussicht und Perspektive sind, verbreitet IS die Vorstellung vom Verdienst jetzt und die Hoffnung auf eine zukünftige Gesellschaft, die gerechter sein soll, als die jetzige. Dass die Finanziers von IS zu den reaktionärsten Regierungen der Region gehören, tut diesem Bild keinen Abbruch – das eben macht gutes Marketing aus.
"Der Islamische Staat ist ein System, das fair und gerecht ist. .. Es ist Aktion, nicht Theorie…".zitiert die New York Times einen jungen Tunesier und fügt hinzu, dass Dutzende junge Leute, die interviewt wurden IS unterstützen in der Hoffnung auf einen höheren Lebensstandard oder auf die Verwirklichung von Prophezeiungen des Koran. Rückkehrer aus dem Krieg, die desillusioniert sind und ein anderes Bild zeigen, haben demgegenüber einen schweren Stand.
In einer Region, in der der Krieg von außen ganze Staaten zerstört hat und in der Macht mit Drohnen und Bomben ausgeübt wird, wird IS gerade für seine Macht und Gewalt bewundert.
Wie zum Hohn lässt IS syrische und irakische Soldaten und Zivilisten und westliche Geiseln abschlachten in einer Orgie der Gewalt, die nur das visuell auf die Spitze treibt, was die USA, die Türkei und die Golfstaaten mit ihren Waffen täglich tun.
Hinter der Marke IS und den perspektivlosen jungen Männern, die eine bessere Zukunft erhoffen stehen die staatlichen und privaten Sponsoren, die ihre eigenen Interessen verfolgen und es schaffen, jede fortschrittliche Lösung der gesellschaftlichen und sozialen Probleme zu verhindern. Not und Perspektivlosigkeit nutzen sie noch dazu aus, ihre eigenen politischen und wirtschaftlichen Ziele zu erreichen.
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Medien
In einer kurzen Broschüre (hier als pdf und hier als epub) stellen wir die wichtigsten Entwicklungen und Wendepunkte im Krieg gegen Syrien bis 2014 dar.
Und hier im Überblick als Poster
Ein Video , das die Situation aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Eine Diskussion, die auf jeden Fall ausgeweitet werden sollte.
Video:Hände weg von Syrien: Demonstration in Frankfurt, 01.09.2012
Bilder von unserem letzten Aufenthalt in Syrien - im April 2012. Ein ganz normalen Alltag.
Eine Schweizerin besucht Freunde in Syrien. Sie war dort für 3 Wochen im Oktober 2011 reiste durch das Land und berichtet über ihre Erfahrungen.