Demonstranten mit ÖlzweigenTM
Januar 2012
Es mag zynisch klingen, wenn ich "Demonstranten mit Ölzweigen" TM als internationale Handelsmarke bezeichne. Deshalb an dieser Stelle gleich meine Entschuldigung: Ich spreche hier nicht über die Menschen, die in Syrien für politische Veränderungen friedlich oder mehr oder weniger friedlich demonstriert haben, die dafür verfolgt und eingesperrt wurden. Ich hoffe, dass Syrien nicht in Bürgerkrieg oder Krieg versinkt, so dass reale Verantwortliche für reale Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden können.
Ich spreche hier über die Handelsmarke "Demonstranten mit Ölzweigen"TM. Diese Handelsmarke hat mit realen Vorgängen in Syrien nichts zu tun. Es ist ein Marketinginstrument, mit dem international Wirkung erzielt werden sollte, mit dem ein "Regimechange" oder ein Krieg vermarktet werden sollte.
Wer auch nur ein wenig Zeitung liest, weiß, dass Demonstrationen gleichgültig wo nicht immer friedlich ablaufen. Athen, die Banlieu der französischen Städte, die Vororte der englischen Städte, deutsche Städte: immer wieder kommt es zu wütenden Protesten mit mehr oder weniger gewaltsamen Auseinandersetzungen.
Selbst auf dem von unseren Medien zum Hort der Demokratie gekürten Tahrir-Platz in Kairo wehrten sich Jugendlich mit Steinwürfen gegen die Angriffe von Anhängern Mubaraks (und ich spreche hier von den Vorgängen vor einem Jahr, nicht von den aktuellen Auseinandersetzungen)
Gleichgültig wo? Nein – es gibt ein Land, wo sich Demonstranten niemals auf gewaltsame Auseinandersetzungen einlassen: Syrien. Hunderte friedliche Demonstranten werden erschossen – aber niemals, niemals verlassen sie das Gelübde zur absoluten Friedfertigkeit – zumindest wenn man den Berichten der "Aktivisten" aus Großbritannien glaubt.
Es gibt auch andere Bilder, die aber keine große Rolle spielen obwohl sie manchmal selbst auf den Seiten von Al Jazeera zu finden sind: Straßen, übersäht mit Steinen, brennende Barrikaden, Jugendliche mit Zwillen. Das sind Bilder, die mehr Realität ausstrahlen als all diese Berichte aus dubiosen Quellen. Sie entsprechen den Bildern, die wir aus Athen, Berlin, Paris, London kennen.
Steinewerfende Jugendliche, brennende Barrikaden rechtfertigen nicht den Einsatz von scharfer Munition. Deshalb ist es eigentlich nicht zu verstehen, warum die syrische Opposition immer nur von friedlichen Demonstranten mit Ölzweigen spricht.
Doch einen Grund gibt es: würde die Realität Einzug halten in die Berichterstattung, würde man vielleicht nachdenken: Steine werfen - ok. Aber Zwillen? Parteibüros abfackeln – gewiss. Banken: naja ... aber Schulen? Und wo erstmal das Nachdenken einsetzt, weiß man nicht, wo es endet. Deshalb wurde das Bild der "Demonstranten mit Ölzweigen"TM verbreitet. Der Leser und Betrachter soll gar nicht erst zum Nachdenken kommen sondern bei dem Bild "Militär erschießt ausschließlich friedliche Demonstranten" verharren. Und jegliche Realität würde dieses Bild nur stören.
"Demonstranten mit Ölzweigen"TM ist ausschliesslich für den europäischen und US-amerikanischen Markt entwickelt. Der nahe Osten kennt Bilder der Gewalt zur Genüge. In manchen Schichten der Bevölkerung ist vielleicht sogar Gewalt weniger bedeutsam als ... Schwäche.
Hätten die Kräfte, die hinter "Demonstranten mit Ölzweigen"TM stehen Bilder für den lokalen oder regionalen Markt entworfen, wären es vielleicht brennende Parteibüros und fliehende Polizisten gewesen und Bilder von Bewaffneten, die erfolgreich gegen Sicherheitskräfte kämpfen.
Vielleicht wären die Bilder von fliehenden Polizisten und Sicherheitskräfte in der Region sogar erfolgreicher gewesen - international wären sie nicht so einfach zu vermarkten gewesen.
Um den Angriff auf Syrien zu fördern, musste um jeden Preis das irreale Bild der Demonstranten mit den Ölzweigen verbreitet werden.
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Medien
In einer kurzen Broschüre (hier als pdf und hier als epub) stellen wir die wichtigsten Entwicklungen und Wendepunkte im Krieg gegen Syrien bis 2014 dar.
Und hier im Überblick als Poster
Ein Video , das die Situation aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Eine Diskussion, die auf jeden Fall ausgeweitet werden sollte.
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Bilder von unserem letzten Aufenthalt in Syrien - im April 2012. Ein ganz normalen Alltag.
Eine Schweizerin besucht Freunde in Syrien. Sie war dort für 3 Wochen im Oktober 2011 reiste durch das Land und berichtet über ihre Erfahrungen.